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Ludwig Meidner

Anleitung zum Malen von Großstadtbildern (1914)

aus: Das neue Programm. In Kunst und Künstler, Berlin XII. Jahrgang 1914

"Wir müssen endlich anfangen, unsere Heimat zu malen, die Großstadt, die wir unendlich lieben. Auf unzähligen, freskengroßen Leinwänden sollten unsre biebernden Hände all das Herrliche und Seltsame, das Monströse und Dramatische der Avenüen, Bahnhöfe, Fabriken und Türme hinkritzeln. Wir erinnern uns an einzelne Bilder der siebziger und achtziger Jahre, welche Großstadtstraßen darstellten. Sie waren von Pissarro oder Claude Monet gemalt, zwei Lyrikern, welche von Wiese, Busch und Baum herkamen. Das Süße und Flockige dieser Agrarlandschafter ist auch in ihren Stadtbildern. Doch malt man Häuserungetüme so strichelnd und durchsichtig wie man Bäche malt und Boulevards wie Blumenbeete!? Es ist nicht möglich mit der Technik der Impressionisten unser Problem zu bewältigen. Wir müssen alle früheren Verfahren vergessen und ganz neue Ausdrucksmittel uns zu Eigen machen.

Das erste ist: dass wir sehen lernen, dass wir intensiver und richtiger sehen als unsere Vorgänger. Die impressionistische Verschwommenheit und Verundeutlichung nützt uns nichts. Die überkommene Perspektive hat keinen Sinn mehr für uns und hemmt unsre Impulsivität. "Tonalität", "farbige Lichter", "farbige Schatten", "auflösen des Kontur", "Komplementärfarben" - und was es alles noch gibt - sind Schulbegriffe geworden. Zu zweit - und das ist nicht minder wichtig - müssen wir anfangen zu schaffen. Wir können unsre Staffelei nicht ins Gewühl der Straße tragen, um dort (blinzelnd) "Tonwerte" abzulesen. Eine Straße besteht nicht aus Tonwerten, sondern ist ein Bombardement von zischenden Fensterreihen, sausenden Lichtkegeln zwischen Fuhrwerken aller Art und tausend hüpfenden Kugeln, Menschenfetzen, Reklameschildern und dröhnenden, gestaltlosen Farbmassen.

Das Malen im Freien ist ganz falsch. Wir können nicht das Zufällige, Ungeordnete unsres Motivs im Nu auf die Leinwand bringen und ein Bild daraus machen. Aber wir müssen mutig und überlegt die optischen Eindrücke, mit denen wir uns draußen vollgesogen haben, zu einer Komposition formen.

Es handelt sich hier nicht, das sei gleich gesagt, um eine rein dekorativ-ornamentale Füllung der Fläche á la Kandinsky oder Matisse - sondern um Leben in seiner Fülle: Raum, Hell und Dunkel, Schwere und Leichtigkeit und Bewegung der Dinge - kurz: um eine tiefere Durchdringung der Wirklichkeit.

Es sind vor allem drei Materien, welche uns zur Gestaltung des Bildes dienen müssen: 1. das Licht, 2. der Blickpunkt, 3. die Anwendung der geraden Linie. Unser Problem ist zunächst ein Lichtproblem, denn wir fühlen nicht überall das Licht, wie die Impressionisten. Diese sahen überall Licht; sie verteilten Helligkeit über ihre ganze Bildtafel; selbst die Schatten sind hell und durchsichtig. Cézanne ist in dieser Richtung schon viel weiter. Er hat die schwebende Festigkeit und diese gibt seinen Bildern die große Wahrheit. Wir nehmen in der Natur nicht überall Licht wahr; wir sehen häufig ganz vorn große Flächen, die wie erstarrt sind und unbelichtet scheinen, wir fühlen da und dort Schwere, Dunkelheiten, unbewegte Materie. Das Licht scheint zu fließen. Es zerfetzt die Dinge. Wir fühlen deutlich Lichtfetzen, Lichtstreifen, Lichtbündel. Ganze Komplexe wogen im Licht und scheinen durchsichtig zu sein - doch dazwischen wieder Starrheit, Undurchsichtigkeit in breiten Massen. Zwischen hohen Häuserreihen blendet uns ein Tumult von Hell und Dunkel. Lichtflächen liegen breit auf Wänden. Mitten im Gewühl von Köpfen zerplatzt eine Lichtrakete. Zwischen Fahrzeugen zuckt es hell auf. Der Himmel dringt wie ein Wasserfall auf uns ein. Seine Lichtfülle sprengt das Unten. Scharfe Konturen wanken in der Grelle. Die Scharen der Rechtecke fliehen in wirbelnden Rhythmen.

Das Licht bringt alle Dinge im Räume in Bewegung. Die Türme, Häuser, Laternen scheinen zu hängen oder zu schwimmen.

Das Licht ist weiß, oder silbrig, oder violett, oder blau, wie ihr wollt. Doch nehmt lieber ein Weiß, so rein wie möglich. Streicht es mit breitem Pinsel auf - daneben ein tiefes Blau oder Elfenbeinschwarz. Fürchtet euch nicht und bedeckt die Fläche mit heftigem Weiß, kreuz und quer. Nehmt Blau - das satte warme Pariserblau, das kühle, laute Ultramarin - nehmt Umbra, Ocker in Fülle und kritzelt nervös, eilig. Seid lieber brutal und unverschämt: eure Motive sind auch brutal und unverschämt. Es genügt nicht, daß ihr den Rhythmus in den Fingerspitzen habt, ihr müsst euch winden unter Tollheit und Lachen!

Wichtig für das Kompositorische ist der Blickpunkt. Er ist der intensivste Teil des Bildes und Blickpunkt der Komposition. Er kann überall liegen, in der Mitte, rechts oder links von der Mitte, aber aus Kompositionsgründen wähle man ihn etwas unter der Mitte des Bildes. Es ist auch zu beachten, dass alle Dinge im Blickpunkt deutlich seien, scharf und unmystisch. Im Blickpunkt sehen wir aufrechtstehende Linien senkrecht. Je weiter vom Blickpunkt entfernt, desto mehr neigen sich die Linien. Stehen wir zum Beispiel geradeausblickend mitten auf der Straße, so sind vor uns, weit unten, alle Häuser senkrecht zu sehen und ihre Fensterreihen scheinen der landläufigen Perspektive Recht zu geben, denn sie laufen dem Horizont zu. Doch die Häuser neben uns - wir fühlen sie nur mit halbem Auge - scheinen zu wanken und zusammenzubrechen. Hier schießen Linien, die in Wirklichkeit parallel laufen, steil empor und schneiden sich. Giebel, Schornsteine, Fenster sind dunkle, chaotische Massen, fantastisch verkürzt, vieldeutig.

Malt im Blickpunkt mit kleinen Pinseln, kurze, heftig empfundene Linien, die alle sitzen müssen! Malt hier sehr nervös; aber je weiter ihr euch dem Bildrand nähert, desto breiter und unbestimmter könnt ihr werden.

Früher hieß es immer: es gibt keine gerade Linie in der Natur, die freie Natur ist unmathematisch. Man liebte die gerade Linie nicht und noch Whistler löste sie in viele kleine Teile auf. Seit den Tagen Ruisdaels ist die gerade Linie in der Landschaftsmalerei verpönt und die Künstler haben immer vermieden, neue Gebäude, neue Kirchen und Schlösser auf ihren Bildern anzubringen. Sie zogen die pittoresken Dinge vor, denn diese waren unregelmäßig und vielgestaltig: baufällige Häuser, Ruinen und möglichst viel Laubbäume.

Wir Heutigen, Zeitgenossen des Ingenieurs, empfinden die Schönheit der geraden Linien, der geometrischen Formen. Nebenbei sei bemerkt, dass auch die moderne Bewegung des Kubismus große Sympathie für geometrische Formen an den Tag legte, ja dass sie bei ihr eine noch tiefere Bedeutung haben als bei uns.

Unsere gerade Linie - hauptsächlich in der Graphik angewandt - ist nicht zu verwechseln mit den Linien, welche die Maurermeister auf ihren Plänen mit der Reißschiene ziehen. Glaubt nicht, dass eine gerade Linie kalt und starr sei! Ihr müsst sie nur sehr erregt zeichnen und ihren Verlauf gut beachten. Sie sei bald dünn, bald dicker und von leisem, nervösem Erzittern. Sind nicht unsere Großstadtlandschaften alle Schlachten von Mathematik! Was für Dreiecke, Vierecke, Vielecke und Kreise stürmen auf den Straßen auf uns ein. Lineale sausen nach allen Seiten. Viel Spitzes sticht uns. Selbst die herumtrabenden Menschen und Viecher scheinen geometrische Konstruktionen zu sein. Nehmt einen breiten Bleistift und ziehet heftig auf dem Papier gerade Linien und dieses Gewirr mit einiger Kunst angeordnet wird viel lebendiger sein als die prätentiösen Pinseleien unserer Professoren.

Über die Farbe ist nicht viel zu sagen. Nehmt alle Farben der Palette - aber wenn ihr Berlin malt, so verwendet nur Weiß und Schwarz, nur wenig Ultramarin und Ocker, aber viel Umbra. Kümmert euch nicht um "kalte" oder "warme" Töne, um "Komplementärfarben" und ähnlichen Humbug - ihr seid keine Divisionisten - aber strömt euch frei aus, frei, ungehemmt und sorglos. Denn darauf kommt es an, daß morgen Hunderte von jungen Malern voller Enthusiasmus sich auf dieses neue Gebiet stürzen. Ich habe hier nur einige Hinweise und Andeutungen gegeben. Man könnte es ebensogut auch anders machen, vielleicht besser und überzeugender. Aber die Großstadt muß gemalt werden.

Es ist schon in den Manifesten der Futuristen - nicht etwa in ihren Machwerken - gesagt worden, wo die Probleme liegen und Robert Delaunay hat vor drei Jahren mit seiner großartigen Konzeption des "Tour Eiffel" unsere Bewegung inauguriert. Auch ich habe in diesem Jahre in einigen malerischen Versuchen und gelungeneren Zeichnungen praktisch das getan, wofür ich hier theoretisch eintrete. Und alle jüngeren Talente sollten sogleich an die Arbeit gehen und alle unsere Ausstellungen mit Großstadtschilderungen überschwemmen.

Leider verwirrt heute allerlei Atavistisches die Köpfe. Das Stammeln primitiver Völker beschäftigt auch einen Teil der deutschen Maler-Jugend und nichts scheint wichtiger zu sein als Buschmannmalerei und Aztekenplastik. Auch das wichtigtuende Gerede steriler Franzosen über "absolute Malerei", über "das Bild" u. a. findet bei uns lauten Widerhall. Aber seien wir ehrlich! Gestehen wir uns nur ein, dass wir keine Neger oder Christen des frühen Mittelalters sind! Dass wir Bewohner von Berlin sind anno 1913, in Cafehäusern sitzen und diskutieren, viel lesen, sehr viel vom Verlauf der Kunstgeschichte wissen und: dass wir alle vom Impressionismus herkamen! Wozu die Manieren und Anschauungen vergangener Zeiten nachahmen, das Unvermögen als das Richtige proklamieren?! Sind diese rohen, mesquinen Figuren, die wir jetzt in allen Ausstellungen sehen, ein Ausdruck unserer komplizierten Seele?! Malen wir das Naheliegende, unsere Stadt-Welt! die tumultuarischen Straßen, die Eleganz eiserner Hängebrücken, die Gasometer, welche in weißen Wolkengebirgen hängen, die brüllende Koloristik der Autobusse und Schnellzugslokomotiven, die wogenden Telephondrähte (sind sie nicht wie Gesang?), die Harlekinaden der Litfaß-Säulen, und dann die Nacht... die Großstadt-Nacht...

Würde uns nicht die Dramatik eines gut gemalten Fabrikschornsteins tiefer bewegen als alle Borgo-Brände und Konstantinsschlachten Raffaels?"


An alle Künstler, Dichter, Musiker (1919)

Ludwig Meidner, der Maler ekstatisch anmutender Bilder, gehört zu den wenigen, die den Krieg als eine drohende Gefahr voraussehen, ihn von Anfang an auch in ihren künstlerischen Werken verurteilen. Nach Kriegsende engagiert sich Meidner eine kurze Zeit lang für sozialistische Ziele. Sein Aufruf zum Beitritt in eine Arbeiterpartei zehrt noch vom expressionistisch-irrationalen Gestus, der schon das 1913 entstandene visionäre Gemälde "Revolution (Barrikadenkampf)" kennzeichnet.

"Damit wir uns nicht mehr vor dem Firmament zu schämen haben, müssen wir uns endlich aufmachen und mithelfen, dass eine gerechte Ordnung in Staat und Gesellschaft eingesetzt werde.

Wir Künstler und Dichter müssen da in erster Reihe mittun. Es darf keine Ausbeuter und Ausgebeuteten mehr geben!

Es darf nicht länger sein, dass eine gewaltige Mehrheit in den kümmerlichsten, unwürdigsten und entehrendsten Verhältnissen leben muss, während eine winzige Minderheit am übervollen Tisch vertiert. Wir müssen uns zum Sozialismus entscheiden: zu einer allgemeinen und unaufhaltsamen Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die jedem Menschen Arbeit, Muße, Brot, ein Heim und die Ahnung eines höheren Zieles gibt. Der Sozialismus soll unser neues Glaubensbekenntnis sein!

Er soll beide erretten: den Armen aus der Schmach der Knechtschaft, der Dumpfheit, Roheit und Gehässigkeit - und den Reichen will er vom erbarmungslosesten Egoismus, von seiner Habgier und Härte erlösen, für immerdar.

Uns Maler und Dichter verbinde mit den Armen eine heilige Solidarität! Haben nicht auch viele unter uns das Elend kennengelernt und das Beschämende des Hungers und der materiellen Abhängigkeit?! Stehen wir viel besser und gesicherter in der Gesellschaft als der Proletarier?! Sind wir nicht wie Bettler abhängig von den Launen der Kunst sammelnden Bourgeoisie! Sind wir noch jung und unbekannt, so wirft sie uns einen Almosen hin oder lässt uns lautlos verrecken.

Wenn wir einen Namen haben, dann sucht sie uns durch Geld und eitle Wünsche vom reinen Ziel abzulenken. Und wenn wir längst im Grabe, dann deckt ihr Protzentum unsere lauteren Werke mit Bergen von Goldstücken zu. - Maler, Dichter, Musiker, schämt euch eurer Abhängigkeit und Feigheit und verbrüdert euch mit dem ausgestoßenen, rechtlosen, gering bezahlten Knecht!

Wir sind keine Arbeiter, nein. Rausch, Wonne - Verglühen ist unser Tagewerk. Wir sind leicht und wissend und müssen wie Führer-Fahnen vor unseren schweren Brüdern wehen.

Maler, Dichter ... wer sonst sollte für die gerechte Sache kämpfen als wir?! In uns pocht noch mächtig das Weltgewissen. Die Stimme Gottes in uns facht immer von Neuem unsere Empörerfäuste an.

Seien wir auf der Hut!

Wird nicht schon morgen wieder die Bourgeoisie die Staatsgewalt in ihre Hände reißen, durch Putsche, Bestechung und skrupellose Wahlpraktiken? Wird dieses neue Deutschland der herrschenden Bourgeoisie nicht noch unverschämter menschliche Arbeitskraft ausnützen, den Armen noch brutaler ducken? Wird es nicht in allen geistigen Dingen noch arroganter und frecher triumphieren wollen, als es je das kaiseristische Deutschland getan?!

Denn dieses, mit seiner aufgetakelten Macht von Kanonen, Kasernen und Eisenschiffen, ABC-Schulen, Polizisten und falschen Pfaffen, war zu plump und trag und unwissend, um ernsthaft in den Bezirken des Geistigen großen Schaden anrichten zu können. Wo aber der despotische Bourgeois aufkommt - wo der in den edlen Räumen des Geistes mit seiner wüsten Tatze hintritt - da wächst kein Gras mehr nach.

Maler, Dichter! Scharen wir uns mit unseren eingeschüchterten, wehrlosen Brüdern um den Geist!

Der Arbeiter achtet den Geist. Er bemüht sich mit kräftigem Eifer um Erkenntnis und Wissenschaft.

Der Bourgeois ist ehrfurchtslos. Er liebt nur Spielerei und ästhetisch verbrämte Stupidität und haßt und fürchtet den Geist - denn er fühlt, dass er von ihm entlarvt werden könnte.

Der Bourgeois kennt nur eine Freiheit, seine eigene - d. h. die ändern ausbeuten zu können. Das ist der bleiche Terror, der geht schweigend um, und Millionen sinken hin und verwelken früh.

Der Bourgeois kennt keine Liebe - nur Ausnutzung und Übervorteilung. Auf, auf zum Kampf gegen das hässliche Raubtier, den beutelüsternen, tausendköpfigen Kaiser von Morgen, den Gottesleugner und Anti-Christ!

Maler, Baukünstler, Skulptoren, denen der Bourgeois hohe Löhne für eure Werke zahlt - aus Eitelkeit, Snobtum und Langeweile - höret: an diesem Gelde klebet Schweiß und Blut und Nervensaft von tausend armen, abgejagten Menschen - höret: das ist ein unreinlicher Gewinn. Ach, wir wollen ja nur leben können und unsere Werke tun zum Preise Gottes! Maler, Dichter und alle Künstler, Kameraden alle: wir müssen uns stark machen: es geht um den Sozialismus. Wir wollen keinen blutbefleckten Lohn mehr. Wollen frei sein, zu unsrer und der Menschheit Lust hinströmen.

Kameraden, höret weiter: wir müssen wahre Sozialisten sein - die höchste sozialistische Tugend in uns entfachen: Menschenbrüderlichkeit. Das heißt: Güte, Freundlichkeit füreinander und Einsicht in das, was uns allen nottut.

Höret weiter: Wir müssen Ernst machen mit unserer Gesinnung, dem neuen, wundersamen Glauben. Wir müssen uns der Arbeiterpartei anschließen, der entschiedenen, unzweideutigen Partei. Wir dürfen in unserem Kreis nicht mehr dulden die Schwätzer, Spieler, Ästheten und bürgerlich korrumpierten Mit-Macher.

Wie der wahre Christ den Umgang mit dem Bösewicht flieht - so müssen wir uns rein halten von den Unreinen, Menschenverächtern und flunkernden Tagedieben. Wir müssen die Zyniker festnageln auf dem Schmutze ihrer eigenen Bosheit. Lassen wir uns nicht beirren durch ihre giftigen Reden und Drohungen.

O, leite uns an diesem dunklen Tag die göttliche Stimme: Gerechtigkeit und Liebe! Mit Leib und Seele, mit unseren Händen müssen wir mittun.

Denn es geht um den Sozialismus - das heißt: um Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenliebe - um Gottes Ordnung in der Welt!"

aus: Das Kunstblatt III, 1919


Nächte des Malers

"Gewimmel von Pariserblau auf blanken Kreidegründen; zynisches, meckerndes Zinkgelb; Weiß mit Elfenbeinschwarz: das Kolorit der alten Bettlägerigen; Permanentgrün neben Zinnobergeschrei; Umbra, helles Kadmium und feurig Ultramarin - - überhaupt muss das Dasein von fetten, strotzenden Ölfarbentuben eingeengt sein. Man muss sich fest einschließen in vier aschengraue Atelierwände, vor großen Leinewänden herumturnen, einsam schimpfen, wütend sein, sich kratzen und eine Donnerwetter-Palette in der Faust haben. Ich denke mir die großartigsten Dinge aus, apokalyptische Gewimmel, hebräische Propheten und Massengrab-Halluzinationen - denn der Geist ist alles, die Natur kann mir gestohlen bleiben. Aber das genügt nicht: die ölstrotzenden Tuben sind fast noch wichtiger, weil die Farben mitmalen, miterfinden, mitfeiern.

Ich stelle mich manchmal blöde und ausgeleert vor die Staffelei und grinse in meine unrasierten, sommersprossigen Backen hinein; da hüpft aus den zähen Chrom-Fladen auf einmal ein Umriss heraus, das Zinnober fängt zu schreien an und eine wunderbare Wirrwarr-Welt baut sich allmählich unter meinen Borstpinseln auf. Ja, Farben, Farben ohne Zahl! Ich werde in eine Ölfarbenfabrik einheiraten. Meine Frau wird mir je tausend Tuben Umbra, Ocker, Kobalt, Kremserweiß und Krapplack in die Ehe bringen. Meine Frau wird eine Eckige, Frenetische, Heiße sein. Sie soll meilenlange Arme haben, mich fest an sich wickeln. Wir wollen uns in die enge Bettstatt pferchen, Ida, und von gebrannter Umbra träumen. Deinen Kopf werde ich dir abbeißen und Fangeball spielen in meinen grellen, zügellosen Nächten.

Ihr Winternächte! Inbrunst, Wildheit bis früh um sechs. Her mit den schneeigen Flockenbogen. Mit zuckenden Fingern grab' ich den Zimmermannsblei tief in den Schnee. Ja, ich bin ein strenger Zeichner. Ich flitze kreuz und quer den Stift. Hinter den Sirius setz' ich ein Tusche-Chaos. Ein Kindlein weint darin. Keine Trauer-Esche wirft ihren Schatten.

Her mit dem Rum, ich muss schleckern. Die Staffelei presse ich an meine haarlose Brust und tanze zotig und wie ein Bezechter. Geld her, meine Damen. Ich will mir sechs Greise mieten. Mit viel rauhen Schollen werde ich sie begraben, dass ihre spitzen Kniee nur und ihre entfleischten Hände hervorstehen. So will ich sie malen mit lauter Gelächter-Farben. Kürzlich lief ich ohnmächtige Tage lang herum, Schädel verqualmt, Bauch schwer und Hände vergrämt. Stundenlang auf einen Stuhl hingelümmelt, dumpfes Bohren in Gedichtbänden, stumme Fressbegier und diese Hölle umstarrte mich wie ein Geierkäfig. Da lag ich nachts wie ein Zermalmter hingefletscht, neben Aschenberg und wucherndem Ofenrohr. Ich wälzte mich in Schwermut und verworrenen Gesichten. Minutenlang hatte ich schreckliche Freuden und dann umflackerten mich wieder die schweren Stiere und Maulesel und die bleierne Ramme des Stumpfsinns.

Heute am 15. rasen Sturmsee-Kolorits. Ich mauere Häusertürme in tänzelnde Mondsichellandschaften. Sechs Stunden keuche ich vor Staffeleien. Es wird wolkengeballter Tag, ehe ich ins Bett stürze ... Und die Nacht sieht mich wieder in ihren Mauern. Ich rudere mit breiten Borstpinseln um Hügel und Felszacken herum, quetsche mit Zeigefinger und Ballen den Himmelbrei. Erdrückte Schreie im Herzen, so geht es mit der hohen Bahn, die der Mond am Himmel macht. Ich bin ungebrochen und herrlich stirnzerklüftet. Nenne Bosch und Breughel meine besten Brüder. Die Umbratuben sind im Nu geleert. Zinnober raschelt um die Wackelköpfe der Fliehenden diagonal über das Bild und die Zinkgelbblitze schlagen kahlen Flächen die Rippen ein.

Ein Steamer treibt den Strom entlang. Dünn hängt der silberne Steg über dem Gewoge. Das Menschenschwein trabt drüber her.... da: rux, es kracht. Gischt, Geheul! Rufe zu Gott. Häuserungetüme biegen sich und schütteln manchen Selbstmörder ab. Kathedrale purzelt nach links in die Landschaft hinein. Kein Gewimmer! nur Gestank strömt auf aus den Nachtlagern zahlloser Lüsterner. Warum verdunkeln so viel Zeppeline den Mond?!! Da klatscht einer auf die Dächer hinab. Menschenbrei rinnt auf meinen Hut.

Durch solche Nächte werde ich geschleift! Meine Seele umflattert meine Farben. Auf der Spitze des Pinsels lächelt die Seele und singt mit dem Choral meiner pastosen Wälder. Hitze umbrandet mich; heiße Gesänge wollen aus mir heraus; eine furchtbare Gewalt rumort in meiner Brust.

Da kommt mir ein Tag in den Sinn: September-Nachmittag, du warst mein! Ein Patzenhofer Wagen fuhr die milde Chaussee entlang. Der Dicke oben johlte mit dem Winde. Eine Sonne ohne Radau schien auf zackige Vorstädte und ich drückte mich an Drahtzäunen hin, zag und Schluchzer um Kinn und Nase.

Damals war ich ein junger Maler und arm. Meine Inbrunst zitterte um den Maggi-Suppentopf und das kärglichste Mahl machte mich mutlos, anämisch und dumm. Ich zeichnete Fabrikessen im Sonnenschein. Saß am Straßenrand und zeichnete auf Sechserpapier melancholischen Rauch, der aus Fabrikessen floss. Die Abende jahrelang in übelriechenden Lesehallen. Da ich mich krumm zersaß und Kunstjournale hastend zerfaserte, da ich bei idiotischem Lampenschein immer wieder dieselben Plattheiten las - - hat kein steiles, rauschvolles Blühen die Nächte geschwellt. Ich war verlassen, zerstoßen, geduckt und hoffnungslos in Hirn und Gedärm. Das kleine Tagebuch, das ich behutsam jeden Abend mit meinen winzigen Erlebnissen vollschrieb, berichtet von den verborgenen Qualen, die eine Malerstube bergen kann. Nie hatte ich Farben. Die Pfennige reichten nicht dazu. Mittwoch und Sonnabend nachmittag durchwanderte ich immer Straßen, die zum Wochenmarkt führten. Da fand ich Karotten, Kartoffeln und Früchte, die den Hausfrauen-Netzen entglitten waren, und ich füllte meine Taschen damit. Suchte ich fleißig, so ward mir ein reichliches Essen beschert. Mein Topf brodelte über und ich umtänzelte ihn wie einer, der die ganze Welt im Sack hat.

Oft saß ich auf einer Bank, ganz erstarrt vor Schmerz und zählte mir immer wieder meine verlorenen Jahre, die in Armut und Hunger hinsiechenden Jahre auf. Ich nährte Wut in mir und Anarchismus. Ich hatte den Blick für meinesgleichen.

Ich erkannte euch gleich, Schicksalsbrüder! Obdachlose, verlassene alte Frauen, Männer ohne Arbeit und Heim, unsicheren Schritts, blicklosen Auges, so flehentlich dahinwankend. Ging ich nicht manchmal stundenlang hinter euch her und wurde nicht mein Unglück geringer dabei?!

Da war in frühen Tagen ein Winter in Paris zu bestehen. Tagsüber saß ich, ein Selbstporträt zeichnend, in meiner muffigen Kammer. Am Abend schlich ich immer die schrecklich lange Rue Clignancourt hinauf, die vor Elend heult. In schmutzigen Buden briet man Pommesfrites und der Satan versuchte mich jedesmal, meine letzten zwei Sous-Stücke auszugeben.

In jener Zeit, in der der Sonnenschein mir immer ironisch vorkam, die Wolken taub, die Bäume schauerlich und die Nächte ohne Brennen - als ob Gott seine Hand von mir gewendet - hat nie ein liebevoller Mensch meine Hand gedrückt. Es gab nur Dürftige, oder Geizige, oder Hochnäsige, oder brutale Narren. Ich sprach nur selten einen Menschen und wenn ich dann anhub zu reden, klang meine Stimme wie zerscherbte Kannen. Ich war immer scheu, verlegen, glanzlos und in Verworrenheit gehüllt.

Jetzt bin ich zäh, glatzköpfig, stirnzerbeult und wie ein verzückter Mönch.

Es ist mitten im Winter. Eisfirmamente bedrohen wüste Häusermassen. Die Fugen der Nacht krachen lautlos. Ich durchtaumle das Atelier und sehne mich nach der Geliebten. Ich lispele deinen Namen, Einzige, Teure, Schenkerin. Du wirst nicht von mir gehen. Immer wirst du meinen Namen rufen. Rufst du auch jetzt meinen Namen in die Nacht hinaus, so wie ich rufe, besessen und weinend?!!

In Fieber und Einsamkeit verbringe ich meine Nächte und am Tage schlafe ich traumzerrissen und einsam. Der Spat-Nachmittag poltert mir in das Ohr. Ich bin unglückzerfetzt und erbost über den grellen Tag. Meine Geliebte hat mir keinen Brief geschickt. O, wie ich still in mich hineinschreien und meinen Rumpf verkrampfen muss. Hast wieder in deiner Neurasthenie gelungert, Mädchen! Warst zu feig zum Schreiben?! Am liebsten würd' ich dir jetzt lauter Zynismen ins Gesicht spucken .... Mein Bett ist immer leer; ich darf mich nicht mit fremden Leibern beschmieren, weil ich auf dich warte, ferne Quälerin.

Es ist jetzt weißer, siedender Nachmittag mit Geschrill, Gekreisch, Gelächterfetzen. In der Nacht bin ich magisch oder nahe der jenseitigen Welt - aber Nachmittags durchwogt mich ein Orkan roten Blutes. Raus aus den wollüstigen Betten und hinein in die erhabenen Räusche eines Liebesbriefes. Ich schrieb dir sonst vernünftelnde, seichte Briefe. Damit nun Schluss! Von nun ab will ich meine Liebe dir zuschreien, dich feste rütteln und durch deine Sonntagslangeweile schleifen. Glaube ja nicht, unsere Liebe wäre ein so banales Täubchengegirr und temperamentlose Beischläfrigkeit wie all das Erlebte deiner letzten sieben Jahre. Ins Bett hüpfen mit Idioten, ohne Verpflichtung und Angst. Der reine Betthase warst du und prahltest noch mit deiner Immoralität. Du wirst es nicht leicht haben mit mir und das Lotterleben einer Bohemienne wird wie eine reine Kleinbürgerei sein neben unseren fanatischen Zinnober-Nächten und Ultramarinblau-Tagen. Habe ich dir nicht Woche für Woche seitenlange Lyrismen geschickt, Schwindelbauten des Herzens, das von Blut überläuft?!! Nun will ich kannibalisch mit dir reden und wie ein Malersmann ....

Wieder ist die Nacht. Wieder umfängt mich Palettengestank. Die geliebten Malbesen in den Fäusten. Hitzige Gebärden vor Leinewänden - so geht es Stunde um Stunde. O du aschen-graues Mal-Atelier, einsames Felsgestade mit den Skeletten verspeister Bücklinge in den Winkeln und Gerassel der Mäusescharen! Ich trage Nacht für Nacht meine Inbrünste in dein Geklüfte und du sagst nicht >Nein< dazu. Septembermatten locken mich nicht. Septemberblumen welken umsonst. Meine Schreie zerstieben leise an den Wänden. Und ein heftiges Freitag-Abendgebet klatscht mich zuweilen hoch auf die Decke. Ich fliege im Saus zum Fenster in die Morgenröte hinein. Dann wieder fegt mich Zerknirschung in die Ecke. Aber wenn ich mich an dich erinnere, Süß-Geliebte, falle ich in einen Schacht und ich bin lange verschollen.

Die Mondsichel blinkert zum Fenster rein. Ich stehe mit dem Gummiknüppel auf der Wacht und verscheuche die Mörder. Dezemberschnee nässt meine heißen Stirnmale. Noch ist der Tod weit weg von mir.......

Man muss saufen können. Immer eine Rumflasche auf dem Nachttisch. Ein Maler muss viel fressen. Dabei hat er breughelische Einfälle. Tollheiten steigen aus dem prallen Bauch. Man muss Gelächter brüllen wie ein Prolet, dröhnend sich schnäuzen, gemeine Flüche zum besten geben. Dann auch ist es gut, sich weit aus dem Fenster zu beugen, die Sterne anzuulken und den Mond mit Zoten zu beglücken. Nachher sollst du feste schuften, Maler. Schiebe dich mit gewaltigem Ruck vor die Staffelei. Kümmere dich nicht um Schulen und vorgefasste Meinungen, noch um das Gerede der Cafehäuser. Mal' deinen eignen Gram, deine ganz Verruchtheit und Heiligkeit dir vom Leibe.

Wie umarme ich meine Nächte in unaussprechlicher Liebe. Eine einzige Stunde tilgt die Schande der verdorbenen Jugendjahre. Ich lalle manchmal wie ein Biertrinker, wenn ich pathetische Baumgerippe gierig hinkritzele. Ich durchwate den Schiefer und Morast schwefelgelber Städte. Die Dächer öffnen sich im Nachtwinde. Mäuler und Zungen brechen aus den Mauerschlünden. Im Talkessel brodeln Geschreie der lagernden Vertriebenen. Ihre Gebete bohren sich wie Maulwürfe in den hoffnungsleeren Lehm. Viel Kadmium strauchelt um verirrte tote Antlitze. Im Himmel schrillt Kremserweiß-Gefetz und ganz vorne sind zerlumpte Bettler in kalten Flächen hingemauert.

Meine Staffelei knurrt und bäumt sich gegen meinen Bierbauch. Ich wüte mit dem Krapplack. Klebrige Pinsel mahnen mich an die Erbärmlichkeit des Daseins. Chromgrün lässt mich kalt. Und Kobalt erinnert mich an meine Kleine-Jungen-Tage, wenn ich Molchen die Schwänze abbiss. Ich bin ein Pinselfex, rührig, schlau, schamlos und unverbesserlich. Ich hege böse Gedanken und mein Malfanatismus geifert und hurra't. Manchmal lächle ich vor Glück. Ich bestaune meine Leinewände. In Zukunft werde ich nur noch ekstatische Szenen malen. Ich fürchte mich nicht. Nur manchmal klaftert jäh Grabes-Finsternis vor mir auf.

Es ist nachts halb zwei.

In meiner Brust schreien die noch ungemalten Pestkranken, Leichenschänder und hungernden Ammen. Mich bedrohen verkrampfte Fäuste und wiehernde Grimassen an den Wänden. Ich schreite wie in gewalttätigen Träumen umfangen. Ich habe schreckliche Angst. Die Nacht ist schweigend und dröhnt.
Dies ist die Sehnsucht des wahren Malers: Umbra mit Zinkgelb und Pariserblau! Eine Rumflasche! Die Donnerwetter-Palette! Die zügellose Geliebte und die Hand ausgestreckt nach den Sternen!"


Lustiger Traktat über Porträtmalerei (1929)

Eigenlob stinkt nicht oder Lustiger Traktat über Porträtmalerei (1929)

Dieser Text von Ludwig Meidner, in dem sich Ironie und Fatalismus auf eine für die Zeit um 1930 charakteristische Weise vermischen, ist um einige eher beiläufige Passagen gekürzt worden.


"Wenn nach mehr als zehn Jahren, währenddem ich nichts von mir hören ließ, meine unbescheidene Person wieder einmal ausführlicher, sozusagen programmatisch, auf diesen Seiten zu Worte kommen darf, so verdanken wir dies der edlen Weitherzigkeit und Toleranz des geschätzten Herrn Herausgebers dieser Zeitschrift, denn ein ausrangierter oder abgebauter Expressionist hat eigentlich gar kein Recht mehr, das Maul aufzutun, auf alle Fälle, es nicht so voll zu nehmen wie ehedem, als er hier seine Manifeste herausschmetterte, dass es nur so rauchte. Es sind seitdem Kaiser und Könige, ja, sogar Parlamente abgesetzt worden, warum sollten die Expressionisten verschont bleiben, sie, die ‚ungelernten' Maler, die vermutlich keineswegs tüchtiger waren als die Kaiser und Könige in ihrem Fach, und wenn Wilhelm II. dereinst gewiss nicht unter die genialen Monarchen gezählt werden dürfte, so muss ich selber mich zur Masse derer rechnen, nach welchen kein Hahn mehr kräht, schon zu ihren Lebzeiten, und dies ganz zu unrecht, denn ich bin immerhin ein bedeutender Mensch innerhalb meiner Familie, ein korrekter Ehemann und ein tüchtiger Maler, ebenfalls innerhalb meiner Familie, da auch meine Ehefrau ungestüm dem Malerhandwerk frönt. Was heute aber uns Spaß machen soll, das ist, dass wir ein bisschen über Bildnismalerei abhandeln wollen, indem ich meine Meinungen darüber aussprechen will, soweit das möglich ist, heutzutage, wo kaum einer noch eine feste und klare Meinung hat über irgend ein Ding, ja, wo es sogar ein bisschen riskant scheint, will man nicht in den Ruf kommen, eines Vierschrötigen und Primitiven, seine Ansichten ohne Umschweife herauszusagen und deshalb ein Drumherumgerede eigentlich das Gescheiteste ist, was es gibt. Gemäß der abgedroschenen, aber grundrichtigen Maxime, dass Kunst Naturnachahmung ist, müsste es auch im Porträtfach oberster Grundsatz sein, naturgetreu und ähnlich abzumalen; doch in diesem Falle täuscht unsre Logik, denn die Welt hat andere Grundsätze aufgestellt, oder besser, die Praxis hat erwiesen, ein Porträt habe nicht ähnlich zu sein, sondern hübsch, fesch, nett, adrett und geleckt, jedenfalls geschmeichelt, soweit wie möglich, aber nimmermehr naturgetreu. Die Porträtmalerei ist nicht der Bereich, in dem subjektive Künstlerlaune sich ausleben darf, darum es nicht Wunder nehmen sollte, wenn die breite Bürgerwelt sich seit Lenbachs Tode der ernsten Bildniskunst gegenüber so skeptisch verhält; denn der Impressionismus brachte eine psychologische und realistische Darstellung, der Expressionismus luxurierte in Karikaturen und Ekstasen, und das, was Neue Sachlichkeit heißt, bietet sich entweder in entsetzlich herber Schwermut oder in puppenhafter Süßigkeit dar - jedenfalls in lauter Übertreibungen, mit denen der Bürger nichts anzufangen weiß, und wenn sich dennoch zuweilen solch einer von den anerkannten Meistern jener Richtungen abmalen ließ, so geschah das wohl fast immer aus Missverständnis, Snoberei, Größenwahn oder totaler Verrücktheit. Jedenfalls glaube man nicht, er habe je in seinem Herzen Sympathie für Liebermann, Kokoschka oder Dix gehabt, und wenn wir gerecht sein wollen, so dürfen wir das nicht gar so sehr verübeln ... Und darauf kommt's an: dass wir schön und menschenwürdig aufgefaßt werden - nicht wie Kälber oder Dämonen - sondern wie feine Leute, in gutsitzenden Anzügen, und die Anzüge müssen auch wirklich gut sitzen, nicht so um den Leib herumschlottern, wie auf den Bildern der ernsten Maler oder gar wie Trümmer oder Nebelschwaden, die auf den ekstatischen Emanationen herumfliegen, welche meine eigenen, tiefernsten Hände schufen. Wie die Heuochsen malten wir dazumal, welche die Farben fraßen und soffen und nicht genau hinschauten, ob die Gusche richtig mitten ins Gesicht gepflanzt ward oder mehr ans rechte Ohr rutschte - ein miserabeliges Gezeichne war das; das Resultat nannte man dann ‚Ekstase'. Indessen bei den Heutigen, Nazarenern und Neuklassizisten, da sitzt alles richtig, zu richtig, ein bisschen sehr pedantisch, ein bisschen arg phlegmatisch, aber fleißig gemacht, brav lasiert, die Kleider sind den Leuten wie angegossen, und alles zusammen sieht aus wie aus getöntem Gips ...

Jetzt riecht es an vielen Ecken und Enden nach Gift, Gewalt und bösem Lauern. Die allgemeine Schlappheit und Charakterlosigkeit, das wirtschaftliche Elend, im Bunde mit der sexuellen Anarchie, deutlicher ausgedrückt, Verbuhltheit unserer Tage, machte es einigen Teufelskerlen leicht, das humane Regiment des Liberalismus über den Haufen zu rennen und nach allen Richtungen hin Schrecken zu verbreiten. Mag auch manches Positive und Erneuernde stecken im Willen jener Gewalthaber, namentlich im Hinblick auf die auflösenden Tendenzen der Zeit, so wird jeder geistige Mensch immer sich auflehnen müssen gegen die Knechtung der Gewissen und der freien Meinungsäußerung. Mit etwas Humor jedoch und feiner Ausbildung der Speichelleckerei lässt sich auch Faschistenherrschaft ganz gut ertragen, man muss nur dem Diktator aalglatt in den Hintern kriechen können, wie das unsre italienischen Kollegen heutigentags so gut verstehen. Sie porträtieren den Duce in Marmor, als Cäsar oder als Zeus oder gar, stehend, als Weltenherrscher, den Fuß auf niederes Gewürm gesetzt, Pygmäen, welche die Völker der Erde versinnbildlichen sollen, die ihr Halbgott unterjocht hat oder - später noch unterjochen wird. Und so was finde ich ganz richtig - ich meine nicht das Unterjochen des Diktators, sondern das Weltanschauliche daran. Und ebenso richtig ist das Unterwürfige und Kriecherische, das allerdings gelernt sein will; doch auch im Verkehr mit dem Bürgertum ist es unerlässlich, und ich frage hier, wer von euch entschlossen ist, nun unbedingt sein ganzes Leben mit Charakter, Geradlinigkeit, Mannesstolz und Gesinnungstreue zu verbringen! Man muss porträtieren, wie die Leute es wünschen - doch das ist leicht gesagt und solcher Maler, die so behend sind und allen Wünschen nachgeben, gibt es nicht gar viele ...

Am Ende aber komme ich nochmals auf die Malerei zurück und werfe mich auf den Arno-Nadel-Stil. Da echte Meidners nicht gehen und kein Mensch einen falschen Meidner, geschweige denn einen echten sich aufreden ließe, werde ich Gemälde von Arno Nadel fälschen, eine geheime Werkstatt solcher Fälschungen auftun, was natürlich auch seine Schattenseiten hat, denn es ist nicht so einfach, die Vehemenz dieses Pastellhexenmeisters und seine todsichere Zeichnung herauszukriegen. Für einen geschickten und bankrottierten Maler ist das Fälschen alter und neuer Gemälde immer noch das reellste Geschäft. Und ich möchte wetten, dass morgen heimlicherweise manch einer von uns zum Fälscherberuf abschwenken wird, denn die Nachfrage nach alten Klamotten dürfte dann nicht schwächer geworden sein. Der Porträtmalerei indessen scheint keine große Zukunft mehr zu blühen, denn der Photograph liefert heute billiger, bequemer und schneller, sprechend ähnliche, auf elegant retuschierte Abbilder. Wer wird sich auch künftig noch malen lassen, außer Pixavon-Königinnen und Elida-Prinzessinnen, wo die Leute heutigentags sich selber kaum ausstehen können und stets angeekelt sind, wenn sie im Spiegel ihr eigenes, trauriges Ponim erblicken. Die Zahl der Selbsthasser wächst in die Puppen und die Menge derer, die sich aus Kunst nichts macht, wird morgen noch gewaltiger sein ..."

aus: Das Kunstblatt XIII, 1929